DAS PROGRAMM

 

EARLY MUSIC: RELOAD

Kölner Fest für Alte Musik

21. – 29.03.2020

 

Ein Interview mit Mélanie Froehly (Geschäftsführerin zamus) und Ira Givol (künstlerischer Leiter Kölner Fest für Alte Musik)

 

Was hat sich das zamus, was habt Ihr Euch mit dem Festival in 2020 vorgenommen? Was sind die Grundzüge des Programms und welche Ideen stehen dahinter? 

Ira Givol Eines meiner Hauptziele als künstlerischer Leiter ist es, die gängigen Konzertformate samt ihrer Regeln und Konventionen auf den Prüfstand zu stellen. Viele Musiker*innen bieten ein Produktan, das sie selbst vielleicht gar nicht persönlich konsumierenwürden. Das möchten wir unbedingt ändern und die Konzerte für Publikum und Musiker*innen gleichermaßen attraktiver machen. Ein gutes Beispiel dafür aus dem Festivalprogramm ist das Konzert Der Wettbewerbam 28. März. Mit der Fokussierung des legendären Wettstreits zwischen Johann Sebastian Bach und Christoph Graupner um das Amt des Thomaskantors  wollen wir einen Erlebnisraum schaffen und das Publikum am Geschehen auf der Bühne emotional teilhaben lassen. In diesem Erlebnisraum können wir Informationen nicht nur über die Werke, die gespielt werden, sondern auch über den Kontext und das Leben der Komponisten in einer anregenden und spielerischen Atmosphäre vermitteln. Wir wollen mitten im Geschehen sein; Hintergrundwissen und das Klangerlebnis selbst sollen sich wechselseitig bereichern.

Mélanie Froehly Außerdem ist das zamus 10 Jahre alt geworden. Dies eröffnet uns die Möglichkeit, auf den gemachten Erfahrungen aufzubauen und uns zu fragen, was wir unserem Publikum nun zeigen möchten, wie wir mit unseren Künstler*innen jetzt und in Zukunft zusammenarbeiten wollen, was die Besonderheiten des zamus sind und wie wir gemeinsam neue Wege beschreiten können.

Es ist ungewöhnlich, ein wissenschaftliches Buch – The End of Early Musicvon Bruce Haynes – in den Fokus eines Festivals zu stellen. Was hat Euch dazu bewogen?

IG Ich betrachte das Buch als einen Spiegel, in dem sich Interpret*innen, Musikforscher*innen und Publikum gleichermaßen wiederfinden. Einige der Konzerte reflektieren die unbeantworteten Fragen, die das Buch aufwirft. Das Eröffnungskonzert etwa stellt zur Disposition, wie sich die Rezeption verändert, wenn wir ein Musikstück ohne Hintergrundinformationen hören, und das Programm The Soul of English Musicim Rahmen des Early Music: Reload. Marathonsfragt nach evolutionären Prozessen in der Musik. In anderen Konzerten versuchen wir nachzuspüren, wie sich auf der Basis von Haynes‘ Überlegungen die Beziehungen zwischen der Musik verschiedener Epochen darstellen könnten: so in dem Konzert Kopieren – Kreierenvom 26. März mit dem Ensemble Profeti della Quintaund der Originaloper Rappresentatione di Giuseppe e i suoi fratellivon Elam Rotem, der zwar im Stil Monteverdis komponiert, damit aber historische Grenzen überschreitet und Monteverdi auf die Jetztzeit projiziert; oder der düstere Stummfilm Der Fall des Hauses Ushervon Jean Epstein am 29. März, den wir, höchst ungewöhnlich, mit barocker Rhetorik kombinieren. Ich finde es sehr spannend, ein Festival auf ein Buch zu gründen, das so viele Musiker*innen beeinflusst hat.

MF Und dieser Einfluss nimmt noch eher zu als ab. Da The End of Early Musicdie Musiker*innen und uns selbst als Festivalmacher dazu bringt, eingehend über Alte Musik, was sie ist und was sie sein kann, nachzudenken. Die HIP (historisch informierte Aufführungspraxis) ist auch ein intellektueller Prozess; man hört nie auf, sich Fragen über die Musik, die Instrumente, die Aufführungssituationen zu stellen – wie verändert sich die Rolle des Publikums, die Herangehensweise der Musiker*innen, wie hat sich die Alte-Musik-Bewegung geformt und durchgesetzt, welche Musik identifizieren wir als alt oder neu, und wie kann man Regeln und Vorurteileunterlaufen, mit ihnen kreativ umgehen, sie umdeuten? Die Antworten darauf sind vielfältig und oftmals von wissenschaftlicher Forschung flankiert. In unseren Konzerten dominieren aber sinnliche und spielerische Formate. Mit hoher Qualität die Neugier zu beflügeln und Entdeckungsreisen zu motivieren, ist uns ganz wichtig. Die Vielfalt an Klängen und Farben, das Spektrum der Ideen und Angebote ist so breit, dass unser Festival auch jenen, die sich bisher nie für Alte Musikinteressiert haben, beste Gelegenheiten bietet, sich in den Bann ziehen zu lassen. Zum Beispiel mit dem Konzertformat À la Carteam 27. März: Es lädt dazu ein, entweder einfach nur ein schönes Konzert des Cölner Barockorchesterszu erleben oder sich aktiv an der Lotterie um die Auswahl der Musikstücke zu beteiligen und so das Konzertprogramm mitzugestalten. Doch wir machen uns auch Gedanken über die Rolle der Musiker*innen: Was bedeutet es für sie, spontan auf Publikumswünsche zu reagieren, und rücken beide Akteure, Interpret*innen und Publikum, dadurch vielleicht enger zusammen?

Die historisch informierte Aufführungspraxis ist in der Musikszene ein viel diskutiertes Thema, das stets im Wandel ist. Worin liegen für Euch aus heutiger Sicht die für die Interpretation und das Hören entscheidenden Unterschiede zwischen historisch informierter und modernerAufführungspraxis?

IG Aus der Erfahrung heraus, sowohl mit moderner Musik aufzutreten als auch in der HIP als Interpret aktiv zu sein, kann ich sagen, dass es für ein normales Publikum überhaupt nicht wichtig ist, ob ich als Cellist Darmsaiten verwende und ohne Vibrato spiele. Die meisten Menschen wollen in erster Linie durch Musik berührt werden und mit klanglichen Mitteln spannende Geschichten erzählt bekommen. Das ist im Prinzip eine gute Sache, aber es bedeutet eben auch, dass die historisch informierte Aufführungspraxis ganz im Mainstream angekommen ist – mit all den Problemen, die das mit sich bringt und die aus der klassisch-romantischen und modernen Musik längst bekannt sind: die große Distanz zwischen Publikum und Musiker*innen, die starren Konzertformate, die sich seit dem 19. Jahrhundert kaum verändert haben und im Grunde nicht mehr dem heutigen Zeitgeist entsprechen, und natürlich die Verengung des Repertoires. Eines unserer wesentlichen Ziele, die wir im zamus und mit unserem Festival verfolgen, ist, spannende Lösungen für diese Probleme zu finden.

MF HIP hat die Musikwelt stark verändert, was man allein schon daran sieht, dass Alte Musik heute ganz anders gespielt wird als früher, und zwar unabhängig davon, ob moderne oder alte Instrumente eingesetzt werden. Es existiert ein reger Austausch zwischen den Ensembles und immer mehr Werke, auch von Komponist*innen aus neuerer Zeit, werden in den Kontext historisch informierter Aufführungspraxis gestellt. Dennoch bleibt HIP ein spezifischer Ansatz, der untrennbar mit der Erkundung von Quellen, Instrumenten und Klangidealen der Entstehungszeit verknüpft ist. Dieser reflexive Prozess ist die Voraussetzung, doch wie die aufgeworfenen Fragen beantwortet werden, fällt sehr unterschiedlich aus. Steht die Suche nach einem historischenKlang oder die jeweilige Absicht der Komponist*innen im Vordergrund? Und auch der Umgang mit den gefundenen Antworten weicht mitunter stark voneinander ab: Die Ensembles können ihre Erkenntnisse ganz, teilweise oder gar nicht berücksichtigen, sie können sie austesten, ergänzen, womöglich wieder auf sie verzichten oder ein völlig neues interpretatorisches Konzept daraus ableiten. Auch das ins Festival integrierte Symposium wird sich diesem Themenkomplex widmen.

Das Neue im Alten zu suchen, ist ein wichtiger und unerschöpflicher Ansatz in der Auseinandersetzung mit der Musik früherer Epochen. Wollt Ihr mit der Einbeziehung von neuen Stücken, von Auftragswerken zeitgenössischer Komponist*innen, in das Kölner Fest für Alte Musiknun auch im Gegenzug dem Alten im Neuen nachspüren? Oder was steckt dahinter?

MF Das Verhältnis zwischen alt und neu ist zwiespältig, denn dem Streben nach den neuesten Ideen und Werken steht das Sehnen nach dem Alten und Vertrauten gegenüber. Für mich steht nicht im Vordergrund, Neues und Altes zusammenzubringen, sondern mir geht es darum, beides miteinander kommunizieren zu lassen; zum Beispiel im Konzert Via Crucisam 27. März, für das drei neue Werke von Komponistinnen als Antwort auf Dietrich Buxtehudes Jesu membra nostri, einem Zyklus von Passionskantaten, entstehen. Sie schreiben für historische Instrumente, was für sie sehr speziell ist, da sie sich zunächst damit befassen müssen, wie sie mit diesen empfindlichen Instrumenten überhaupt umgehen können. Diese Grenzüberschreitung eröffnet neue Horizonte, und zwar für die Komponistinnen selbst, für die Interpret*innen und für das Publikum.

IG In The End of Early Musicdefiniert Bruce Haynes den Begriff Alte Musiksehr zugespitzt, indem er sagt, alles das, was bereits komponiert und aufgeführt wurde, ist Alte Musik, egal ob es vor 600 Jahren entstanden ist oder im Konzert gestern Abend aus der Taufe gehoben wurde. Die verschiedenen Welten zusammenbringen zu wollen, empfinde ich als etwas ganz Natürliches. Nicht das, was wir spielen, sondern wie wir es spielen, macht eine Performance zu einer historisch informiertenPerformance.

Wie steht das zamus aus Eurer Sicht im Musikleben von Köln, von NRW, von ganz Deutschland da? Was verbindet Ihr über künstlerische Anliegen hinaus für Hoffnungen und Wünsche mit dem Festival – für das Publikum, aber auch für die regionale und überregionale Szene der Alten Musik?

IG Ich finde, wir sind auf gutem Weg, das zamus und unser Festival als herausragendes internationales Zentrum für Alte Musik zu etablieren. Köln war schon immer ein Anziehungspunkt für die Alte Musik, und wir als Institution haben das Potenzial und sind flexibel genug, vieles auszuprobieren, Dinge anders zu machen, neue Richtungen einzuschlagen, ohne uns von Bedenken und Konventionen lähmen zu lassen.

MF Wir sind ein Zentrum für Alte Musik, in dem Musiker*innen und Liebhaber*innen zusammenfinden, und wir tragen große Verantwortung für die Künstler*innen und unser Publikum, das wir mit diesem Festival auch erweitern wollen. Die Musiker*innen der HIP sind hochspezialisiert und fast immer Freiberufler, und es gibt noch viel zu tun, um ihre Situation, auch ihre wirtschaftliche Situation, zu verbessern. Per se bewegen wir uns in einem internationalen Umfeld, da die Mitglieder und Musiker*innen des zamus aus ganz Europa kommen und mit Ensembles und Instrumentenbauern aus vielen Ländern zusammenarbeiten. Viele junge Musiker*innen ziehen nach Köln, um an der hiesigen Musikhochschule Alte Musik zu studieren. Offenheit, Toleranz und ständiger Austausch zwischen den Kulturen und Generationen sind unabdingbar. Auch hängen künstlerische Belange eng mit politischen und gesellschaftlichen Faktoren zusammen. Wir müssen uns immer wieder die Frage stellen, wie die Zukunft der Alten Musik, nicht nur das zamus betreffend, aussehen soll und wie wir sie mitgestalten wollen. In einer tendenziell schnelllebigen Zeit möchten wir im zamus langfristig denken und arbeiten, nicht nur im Hinblick auf das Festival, sondern über das ganze Jahr. In der Konzertreihe zamus unlimitedbieten wir Freiräume für neue Formate, im musiklaborermöglichen wir kontroverse wissenschaftliche Diskurse und durch die Kooperation mit der Musikhochschule unterstützen wir den künstlerischen Nachwuchs.

Meine Hoffnung ist, dass wir unsere Angebote in den nächsten Jahren noch ausbauen können, regional und international. Zur Zeit bereiten wir etwa Kooperationen mit Frankreich und Polen vor. Das zamus soll ein offener Ort für alle sein, und ich wünsche mir die Fortsetzung und Erweiterung unserer vertrauensvollen Beziehungen mit dem Publikum, mit den Künstler*innen und unseren Partnern und Förderern. Das Kölner Fest für Alte Musik unterstreicht das und bündelt unsere Anliegen und Visionen wie unter einem Brennglas.

 

Das Interview führte Egbert Hiller