Ein Interview mit Davit Melkonyan und Evgeny Sviridov zur Neugründung des Orchēstra Kairos

Davit Melkonyan, wie kam es zur Gründung des „Orchēstra Kairos“?

Davit Melkonyan Die Geschichte beginnt im Jahr 2016, als der russische Geiger Evgeny Sviridov nach Köln zog. Wir hatten uns bereits drei Jahre vorher bei den Thüringer Bachwochen kennengelernt, damals wohnte er aber noch in Sankt Petersburg. Nach und nach wuchs die Idee, gemeinsam mit unseren Freunden in Köln uns zur Orchesterstärke zu vergrößern. Wir haben uns regelmäßig getroffen und ausgetauscht. Im letzten Jahr stand schließlich der Kern des Ensembles fest: die Geiger Evgeny Sviridov, Anna Dmitrieva und Cécile Dorchêne, die Bratschistin Corina Golomoz, die Oboistin Lola Soulier und ich am Violoncello.

Was für ein Repertoire spielt ihr?

Evgeny Sviridov Wir wollen keine Grenzen setzen. Im Augenblick sind wir zwölf Musiker und spielen Werke des 18. Jahrhunderts, das hängt auch mit der Besetzung zusammen. Unser Ziel ist, die Besetzung und die Zeitspanne, die das Repertoire umfasst, noch auszuweiten.

Gibt es bestimmte Einflüsse auf eure Arbeitsweise?

DM Zwei Gestalten der historischen Aufführungspraxis möchte ich hervorheben, den Cellisten und Dirigenten Nikolaus Harnoncourt und den Oboisten und Musikwissenschaftler Bruce Haynes. Harnoncourts Wagemut und Leidenschaft, Haynes Forschergeist, ihre selbstlose Liebe zur Musik sind unsere Beispiele. Vor ungefähr sechzig Jahren empfand Harnoncourt, der als Cellist bei den Wiener Symphonikern unter Herbert von Karajan angestellt war, starkes Unbehagen – er war empört über die Art, wie gewisse Werke des 18. Jahrhunderts aufgeführt wurden. Auch der Betrieb der klassischen Musikszene missfiel ihm. Er wollte neue Wege gehen, Neues entdecken, der Routine entkommen. Es ist in erster Linie Harnoncourts Verdienst, dass die Aufführungen auf Originalinstrumenten zum festen Bestandteil des Konzertlebens geworden sind. Die Errungenschaft, dass die historische Aufführungspraxis heute etabliert ist, enthält aber auch die Gefahr der Routine, der alten Gewohnheit. Wir wollen im Geiste Harnoncourts neue Wege gehen.

Wie seid ihr zu dem Namen eures Orchesters gekommen?

ES Den Anstoß gab das posthum erschienene Buch The Pathetick Musician von Bruce Haynes. Haynes verwendet den Begriff Kairos.

DM Kairos bedeutet den günstigen Augenblick der Entscheidung und wurde in der Antike als Gottheit in den Olymp aufgenommen. In einer musikalischen Aufführung wird in jedem Augenblick eine Entscheidung getroffen – über die Gestalt des einzelnen Tons, der einzelnen Phrase, des ganzen Satzes. Von der Summe dieser einzelnen Entscheidungen hängt die Wirkung des Ganzen ab.

Beim Kölner Fest für Alte Musik werdet ihr euer erstes Konzert geben. Wie fühlt sich das an?

ES Aufregend. Wir haben ein Programm gewählt, das einerseits dem Rahmen des Marathons angepasst ist und uns andererseits die Möglichkeit bietet, die Stärken und Besonderheiten des Ensembles zu zeigen. Wir spielen ein Violinkonzert von Leclair, ein Doppelkonzert für zwei Violoncelli von Vivaldi, ein Concerto grosso von Händel und das dritte Brandenburgische Konzert von Bach. So veranschaulicht unser Programm die üppige Vielfalt der Gattung Concerto im 18. Jahrhundert. Wir freuen uns besonders, für unser erstes Konzert einen außerordentlichen Musiker, den Cellisten Christophe Coin, als Solisten gewonnen zu haben.